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Alexandra Berková - Dunkle Liebe

Übersetzung: Christa Rothmeier

Wir gehen durch das Tal der Bräute: von den Hängen der Berge strömen junge Frauen, frisch und begehrlich, sie eilen herab und spazieren an den steinernen Fallen vorüber, betrachten neugierig die Fähnchen, Bänder und bunten Federn, die kleinen Ballons, den glitzernden Tand und die Duftköder; neben den Käfigen und Fallen stehen Männer und locken die Frauen zu sich; sie rufen ihnen nach, singen Komplimente, zeigen ihre Muskeln, ringen miteinander, stolzieren herum, jodeln, rasseln mit Goldstücken, gurren verliebt – und andere wieder schützen vor, verletzt zu sein:
          Wenn sie nicht mit ihrer Kraft Aufmerksamkeit erwecken können, versuchen sie, die Frauen mit ihrer Schwäche zu fesseln, sagte mir meine Begleiterin, und sie haben erstaunlicherweise den gleichen Erfolg bei der Jagd wie die Klugen und Starken, wenn nicht noch mehr. Und tatsächlich: die Frauen eilen zu den Maroden und helfen ihnen, aufzustehen, zu gehen, zu essen, sich anzuziehen, zu urinieren, zu leben ...
          Häufig bleibt eine Frau sehr lange bei so einem Schwächling, auch wenn sie ihre Sachen ständig gepackt hat, auch wenn sie sich sagt: nur das noch und das noch muss ich tun ... und dann wird bestimmt schon ... doch bleibt sie ihr ganzes Leben lang bei ihm, das gewöhnlich kürzer als seines ist – und er fängt sich dann eine andere ... erklärt mir meine Begleiterin, während ich mit ansehe, wie sich die jungen Frauen mehr zu den Versagern als zu den vor Kraft wiehernden athletischen Typen hindrängen; das kenne ich, sage ich mir und empfinde großes Mitleid ...
          Und seltsame alte Weiber treiben sich herum, manche trinken etwas aus einer Flasche, kichern und verspotten die konfusen jungen Frauen, andere versuchen, sie von den Fallen zu verjagen und sie zu warnen, etliche aber helfen den Männern sogar, eine Frau in eine Falle zu stecken ...
          Die ankommenden Frauen sind gestresst, aufgeregt und haben Lampenfieber, die Männer hingegen unterhalten sich fröhlich, lärmen, schließen Wetten ab, versorgen einander mit Tipps und halten im Fall einer Zurückweisung unbefangen Ausschau nach neuem Material. Die zurückgewiesenen Frauen brechen oft am Rand des Weges zusammen und weinen. Sie kommen sich unvollständig vor, sagte mir meine Begleiterin; man hat sie dazu erzogen, sich nur in Verbindung mit einem Mann als menschliches Wesen zu sehen – sie hätten sonst keinen Wert ... Ich schaue mir diese Verstoßenen an, wie sie von Scham geschüttelt zittern, dann aber raffen sie sich immer auf, schmücken sich, malen ein fremdes Antlitz auf ihr Gesicht und stürzen sich noch einmal kopfüber hinein und zwängen sich drängelnd, hastig eilend und sich gegenseitig stoßend in die Fallen, damit sie nur ja schon angekettet wären.
          Der Mann bringt sie in diesem geschmückten Käfig dann gleich weg, sagt meine Begleiterin, schafft sie in einen Vorort, an einen ruhigen Platz, abseits vom Weltgeschehen, wo sie gebären und gebären und putzen und das Netz wärmen werden; es sind aber auch professionelle Jäger hier, die eine Frau nicht dazu brauchen, damit sie ihnen ihre Familie vermehrt, die wollen sie für sich haben: um sich ihre Kraft zunutze zu machen und aus ihr zu leben.
          Und tatsächlich – abseits des Hauptrummels auf verschiedenen Sitzgelegenheiten hocken etliche; den Kopf zur Seite geneigt zwinkern sie mit den Augen, lächeln anmutig und stellen sich wehrlos, die Lippen rot angemalt, damit die Zähne weißer wirken, die Augen mit kleinen Punkten umrandet, weil das die Frauen mögen, und schauen lieb und fröhlich drein –
          Das bringt die Frauen zum Lachen und raubt ihnen ihre Wachsamkeit, sagte meine Begleiterin, Frauen sind anschmiegsam und verspielt, man darf sie nicht erschrecken, wenn man sie fangen und aussaugen möchte. Ich beobachtete, wie ein Jäger ein dunkles, weiches Knurren von sich gab und die behaarte Brust entblößte – und der Frauentyp Bewunderin, der Frauentyp Naive, der Typ Frau mit betörter Seele versammelten sich, um zu ihm aufzuschauen und ihn anzubeten – und er wird ihre Wärme und Energie in sich einsaugen.
          Und wieder ein anderer klimpert mit den Wimpern und verdreht die Augen und lächelt und zeigt seine strahlenden Zähne und tut süß und kindlich und verspielt, und der Frauentyp ältere Schwester, der Typ fürsorgliche Frau, der Frauentyp Dienerin und beste Freundin kommen haufenweise gelaufen und lassen sich um ihn nieder, um sich um ihn zu kümmern, um mit ihm zu spielen und um ihm gut zu tun; ihr wisst nicht, wie alt ich bin, gelt, fragte er uns schalkhaft, hundertacht Jahre! – und wie sehe ich aus? wie vierzig! –nein, wie fünfunddreißig!, sagte er und breitete die Arme aus, beugte hilflos das Köpfchen zurück, setzte ein breites Lächeln auf, dass seine Zähne glänzten, und war glücklich ...
          Massen von Mädchen strömen vonn den Bergen herab, in dieses verfluchtes Tal; und jene, die nicht wollen, die vielleicht zögern und voller Zweifel und unbeantworteter Fragen sind, warum das hier ihr Weg, der einzige und richtige Weg, sein sollte, wo sie sich von den Bändern durchaus nicht angelockt fühlen, sie, die unentschlossen in diese Richtung schauen, treibt ein öffentlicher Antreiber oder die Familie dorthin ...
          Ziemlich merkwürdig alles – so viele vergebliche Finten, Manöver, Taktiken und Lügen – nichts als Strategie und List – und warum? Und meine Begleiterin antwortete: die ganze Welt ist doch auf Lüge aufgebaut; gehen wir ins Tal der Fallen.
          Dieser Ort ist voller unterschiedlichster Schlupfwinkel und Nester und Koben und Löcher und Höhlen, und in ihnen Frauen mit ihren Jungen; sie sind unermüdlich tätig, fleißig und emsig putzen, säubern, waschen sie auf, bohnern und waschen Wäsche, kochen, füttern und so weiter, in einem fort, die Jungen sind herzig und tapsen um sie herum, und diese Frauen haben Ketten, die noch mit wunderschönen Verzierungen bedeckt sind, die Beschläge aus Silber oder Gold und mit eingesetzten Diamanten haben, Fesseln aus Seide, duftend, pastellfarben – und diese Frauen schmücken ihre Beschirrung, verschönern und herzen sie und warten sehnsüchtig auf ihre Männer, bis sie aus der Welt heimkehren, in der sie waren, um sie zu lenken.
          Bei den älteren Frauen sind die Beschläge schon abgetragen, schäbig und ohne jede Verzierung, so wie die Zeit sie bearbeitet hat; der Stahl ihrer Tragegurte, Ketten und Fesseln liegt schon ganz bloß, und die Frauen haben blutige Wunden davon, ständig von ein und derselben, durch Jahre hindurch unerbittlich gleichen Last beansprucht ... diese Frauen lassen allmählich in ihrer Arbeit nach, bleiben stehen und blicken aus den Fenstern ihrer Fallen, sitzen herum, seufzen, weinen oder versuchen, ihre Bewegungen zu beschleunigen, was aber krampfhaft und hart wirkt, und sie ermüden bald. Die Jungen sind schon entwachsen, schlagen mit den Hufen aus, stoßen mit den Hörnern, stampfen, geben ein Gekreisch von sich, schlagen mit den Flügeln gegen die Wände der Schlupflöcher und begeben sich für immer längere Zeit hinaus und kehren einmal nicht mehr zurück ... und die Frauen stehen stundenlang im Dunkeln am Fenster und beobachten den Weg vor dem Eingang, als könnten sie ihre Jungen dadurch vor allem Bösen schützen ... Diese Frauen stören ihre Ketten bereits, einige würden gerne fortgehen, aber ihre Fesselung ist noch zu fest, oder sie können sich nicht vorstellen, alleine zu leben ... viele kehren lieber vergeblich an den Anfang zurück, versuchen, den Fesseln wieder den früheren Glanz zu verleihen, und erinnern sich daher daran, wie es war, als ihre Jungen klein und weich und zutraulich waren ... und sie hypnotisieren sich mit farbigen Bildern von diesen ersten Tagen, von dieser Zeit des Köderns und Ins-Nest-Locken, wie er sie zu sich rief und sie frisch und begehrlich und herausgeputzt waren – sie holen sich diese Situationen in unendlichen Variationen in ihren Kopf, wir die gemeinsamen Anfänge und die diversen Hindernisse glücklich bewältigt werden und alles im Zuklappen des Käfigs seinen Höhepunkt findet – was als herzergreifender Moll-Akkord konzipiert ist, der die augenscheinliche Identität von Anfang und Ende kaschieren soll... Aber die Frauen inhalieren dieses Gift in enormen Dosen, allerdings arbeiten auch ganze Teams von Professionalisten an diesen Bildern und produzieren sie in einer riesigen Menge in optischer, musikalischer und auch schriftlicher Form, damit die Frauen rechtzeitig ihren Schnuller bekommen und in diesem Nebel die Gegenwart vergäßen ... Aber auch so schreien die Frauen mitunter verzweifelt, böse und vergeblich ihre Männer an, gestikulieren, fordern und wollen etwas, aber die Männer sind weit weg; seit dem Moment, da die Fesseln zugeschnappt sind, sind sie weit weg und jedes Geschrei stört sie unendlich; schließlich haben sie sich eine Frau ergattert, um etwas zum Futtern und Anziehen und Zurückkommen und um daheim Ruhe zu haben – deshalb stopfen sie sich die Ohren mit Politik und Sportnachrichten zu und rotten sich zu Grüppchen zusammen und stecken die Köpfe in die ErsatzweIten verschiedener Lustbarkeiten und Spiele, um das Gejammer ihrer Frauen nicht zu hören ...
          Bei den älteren Frauen lösen sich die rostigen Fesseln schon von allein und zerfallen, aber sie rennen nicht freudig weg – im Gegenteil: sie versuchen, sie mit allem Möglichen zu reparieren: mit einem Enkelkind, einem Knödel, mit ihren Haaren aus der Jugend – aber meist ist es vergeblich und töricht; einige Männer gehen von einer anderen Frau angelockt fort oder sie sterben, und ihre Frauen bleiben ratlos über ihnen stehen: ständig irgendwo weg, ständig verschwindest du wohin – und jetzt läufst du ganz davon, Verräter! Oder sie erinnern sich an die Tränen der Einsamkeit und Trauer an seiner Seite und flüstern nur: Na endlich, hast du aber lange gebraucht ...
          Und ich fragte meine Begleiterin, woher das käme, dass das so traurig ist, und sie sprach, das sind die, die ihren Engeln erlegen sind ...

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