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Martina Formanová - Virtuosin für frische Wäsche

Übersetzung: Mirko Kraetsch

         Sag Harbor

          Wir sitzen in einem kleinen italienischen Lokal auf der Main Street. Nicholásek versucht eine seiner Spaghetti durch einen Strohhalm zu fädeln.
          Simèa und ich schauen uns an: Ja, wir sollten ihn zur Räson bringen.
          „Na dann, auf die Gesundheit“, sagen wir lieber und nippen an dem kühlen Weißwein.
          Vor allem Gesundheit.
          (Die Zukunft zerbröselt unter unseren Händen, aber ansonsten sind wir kerngesund.)
          Simonas Bemühungen ihre nicht besonders glückliche Ehe zu retten fruchten nicht recht. Meine Anwesenheit in dem Haus, das dem Bohemien-Gatten meiner Schwester auch so schon zu eng vorkommt, ist da auch nicht sonderlich hilfreich.

          Sag Harbor ist eine niedliche Hafenstadt in einer Gegend namens Hampton. Ihre Reize hatte ich trotz meiner Verliebtheit und allgemeinen Unlust zu reisen schon bei meinem ersten Besuch schätzen gelernt. Und es ist nicht nur dieser romantische Ausblick auf eine Bucht voller Segelboote und Motorjachten. Sag Harbor hat irgendetwas Altmodisches, die Vertraulichkeit der Einheimischen, mit der sie Ihr Kind (beziehungsweise das von Simèa) oder Ihre Figur (eventuell auch meine) bewundern; und etwas sehr Liberales, wie man es in einem so exponierten Landesteil erwarten würde.
          Hampton liegt nicht ganz zwei Autostunden von New York City entfernt, auf Long Island, und zwar auf einer sozusagen in den Atlantik hinausgestreckten Landzunge. Es ist einfach die Gegend mit den schönsten Stränden, den berühmtesten Restaurants und den teuersten Anwesen, viele von ihnen gehören Promis. Es ist, sagen wir mal, das Beverley Hills der Ostküste.

          Ich hatte mir vorgestellt, dass ich in dem Kämmerchen neben Nicks Kinderzimmer untergebracht werden würde. Am Tag würde ich am Strand liegen und in der Nacht meine Diplomarbeit schreiben. Doch erklären Sie das mal einem vierjährigen Kind.
          „Minja, Minja“, ruft er ständig durchs Haus nach mir.
          Paul ist sauer und am Abend höre ich ihn wieder zornig lamentieren.
          Trotz meiner Sprachbarriere habe ich eine sehr genaue Vorstellung davon, was er sagt.
          Schon am Flughafen war er der Meinung gewesen, dass ich zu viel Gepäck hatte.
          Er wunderte sich, dass Simona mir ein Bankkonto eingerichtet hatte.
          Als ich anfing mich nach einem Auto umzusehen, begriff er schließlich, dass dieser Besuch einer mit offenem Rückflugticket war.
          „Simèa, hilf mir doch irgendeine gute Sprachschule für mein Englisch zu finden. Ein, zwei Monate bin ich weg und dann schauen wir mal“, sagte ich nach einer weiteren durchwachten Nacht zu ihr.
          Nicholáseks Geduld mit den klebrigen Spaghetti lässt nach und so erheben wir uns. Draußen ist es noch hell und heiß, aber vom Ozean her spürt man schon eine frische Brise.
          Morgen früh werde ich zu einem Sprachkurs nach Vermont fahren.


          Die Reise

          Dieser Kerouac und diese ganzen Sachen sind mir schon immer fremd gewesen.
          Ich will nie irgendwohin fahren.
          Ich kann es nicht leiden in fremder Bettwäsche zu schlafen und mich in fremde Duschen zu stellen. Schon im Voraus schüttelt es mich vor Widerwillen.
          Durch das Busfenster betrachte ich die vorbeifliegende Landschaft. Connecticut. Massachusetts. Hm, naja. Im Kino hätte mir das auch gereicht.
          Ich will mein Leben zurück. Mein Auto, den Schmuck und Karel.

          Zwei Monate nach unserer Trennung saß ich zu Hause und schrieb verbissen an meinem Diplomdrehbuch, um mir das Warten auf das Läuten des Telefons zu verkürzen. Dann traf ich eine Entscheidung. Ich stand von meiner Arbeit auf, verkaufte alles, tauschte einen Teil in Dollars um und flog zu Simèa.
          Alles habe ich dann doch nicht verkauft. Ich hätte es nicht ertragen mich selbst zu bemitleiden, und so behielt ich einen Ring und die Uhr mit den sieben Brillanten, die lustig um das goldene Zifferblatt herumrutschten.
          Sie zeigt zwanzig vor fünf.
          Auf dem Bahnhof wird mich jemand aus dem Lager erwarten. (Lager – was für ein scheußliches Wort!)
          Das allerletzte, wonach ich mich jetzt sehne, ist jemanden kennen zu lernen.


          Unterricht

          „Hi, my name is Martina and I am from Czech Republic“, höre ich mich den Satz entsprechend der Anleitung an der Tafel wiederholen.
          Vier Mitschüler sind aus Lateinamerika und zwei aus Japan. Ich tippe darauf, dass ich hier die älteste bin.
          Als Mädchen wollten meine Schwester und ich unbedingt ein Doppelstockbett haben. Mir hat sich dieser Traum nun erfüllt, leider erst mit Anfang Dreißig.
          Mein Zimmer teile ich mit einer zarten großäugigen Italienerin, die allerdings schon zu den Fortgeschrittenen gehört. Ich verstehe sie überhaupt nicht, aber sie scheint mir fast ein wenig zu optimistisch zu sein. Außerdem raucht und trinkt sie nicht.
          Das kann ja heiter werden.
          Hastig strecke ich mich auf dem unteren Bett aus, damit klar ist, dass ich nirgendwohin klettern werde.

          Die Studenten aus dem vorherigen Zyklus führen uns über das Areal und erklären uns alles. Das heißt: denen, die sie verstehen.
          Ich gehe davon aus, dass mich die Italienerin aufwecken wird, und dann schließe ich mich irgendwie der Menge an.
          Regeres Interesse weckt bei mir erst die Mensa. Mangos, Ananas, Kiwis, Melonen – all diese exotischen Früchte in beliebiger Menge? Blitzschnell entschließe ich mich zu einer Obstdiät.
          Bis tief in die Nacht sitze ich auf der Veranda unserer Holzhütte und rauche. Durch die Dunkelheit dringen von allen Seiten her spanische Lieder und fröhliche Rufe junger Leute zu mir.

          Wie schrecklich ich damit gekämpft habe.
          Mir fehlte ein Stück und es schmerzte so sehr, als hätte die Amputation bei vollem Bewusstsein stattgefunden.
          Aber ich hatte nicht den Eindruck, dass irgendjemand registriert hätte, wie aufgewühlt ich war. Dass ich blutete. Aus dem Herzen.
          Meine Güte, reiß dich zusammen, alarmiere ich die Reste gesunden Menschenverstandes. Dramatisiere nichts, übertreibe nicht, lass dich davon nicht unterkriegen. Lebe!
          Verständnislos versuche ich zu rekapitulieren, wann sich unsere freie, unverbindliche Beziehung in diese ätzende, grauenhafte Angelegenheit verwandelt hat. Ich sage alles tausend Mal vor mir her: Ja, ich habe Fehler gemacht. Eigentlich war ich furchtbar.
          Bad girl.
          Klatsch, klatsch, klatsch auf den Pops.
          Ich befürchte verrückt geworden zu sein.


          Aufenthalt

          Es hat sich herausgestellt, dass auch die Schwimmhalle unterhalb des Hügels den Studenten aus dem Areal der internationalen Schule kostenlos zur Verfügung steht. Überhaupt überrascht es mich, dass, nachdem ich es verwunden hatte einen Betrag von fast zweitausend Dollar für einen einmonatigen Aufenthalt bezahlen zu müssen, meine sonstigen Ausgaben ganz minimal sind. Für fünfzehn Dollar habe ich mir ein Grammatik-Lehrbuch gekauft und jeden Freitag trage ich mit vier Dollar zur Anschaffung von Dosenbier für die abendliche Party bei.
          Meine Kommilitonen stammen durch die Bank aus reichen Familien. Einige leihen sich im nächsten Städtchen Autos. Und seit sie die Verpflegung in der Mensa über haben, tauchen im Camp immer öfter Lieferautos von örtlichen Restaurants auf.
          Solche Ausschweifungen lassen mich jedoch kalt. Dankbar halte ich mich an meine Obstdiät, gelegentlich ergänzt durch das eine oder andere Bier. Außerdem sieht es so aus, als würde mein Körper nach nichts anderem verlangen. Aus Erfahrung weiß ich, dass ich ihn nicht überlisten kann. Einmal, das war noch auf dem Gymnasium, habe ich so lange auf Brot, Brötchen und alles aus Mehl verzichtet, bis ich eines Tages beim Anblick unserer Wandzeitung zum Lobpreis der genossenschaftlichen Ernte die Beherrschung verlor und alle ausgestellten Getreidesorten abnagte und zerkaute. Heute noch spüre ich, wenn ich etwas über die Ernte höre, im Mund das Pieksen der Weizenähren.

          Ich gewöhne es mir jetzt an, die Hausaufgaben mit hinunter zum Schwimmbecken zu nehmen. Ständig versuche ich mich von meinen Kommilitonen fern zu halten – meine Welt ist viel zu sehr in Unordnung, als dass ich mir noch Gäste dorthin einladen will. Nur mit der Italienerin kommuniziere ich mehr. Ich fasse das übrigens als Englischübung auf. Sie hat mir erzählt, dass sie früher unter schrecklichen Zahnschmerzen litt und sich falsche Zähne machen lassen hat. (Später ist mir eingefallen, dass sie vielleicht unter Schmerzen nach der Trennung von einem Zahnarzt gelitten hat, der sich als falsch herausstellte, aber ich bin mir nicht sicher, also weiche ich der Dentalproblematik lieber ganz aus.)
          Ich vertreibe die Gedanken an die Zukunft (daran hat man sich mit meinem Lebensstil längst gewöhnt) und konzentriere mich auf die Gegenwart.
          Ich bin braungebrannt, dünn und habe endlich das Vergangenheitssystem im Englischen verstanden.

          Der Monat ist wie im Fluge vergangen. Die Zeit ist gekommen den Wäldern von Vermont und dem Klassenzimmer „good-bye“ zu sagen.

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