Deutsch / Leseproben /

Bohuslav Vanìk-Úvalský - Die Kartoffel war die Apfelsine meiner Kindheit

Übersetzung: Mirko Kraetsch

Jan Bure¹


          Vielleicht hätte Mama, wenn sie im Frühjahr Neunundsechzig nun schon von einem russischen Soldaten vergewaltigt wurde, nicht auch noch mit Hühnern nach ihm werfen sollen, denn einen russischen Soldaten kannst du mit einem Huhn auch nicht aufhalten, sondern hätte versuchen sollen mit ihm zu reden, oder schreien, als er sie in eine Ecke des Anwesens zerrte, das die Bruderarmeen beschlagnahmt hatten. Vielleicht lag der Fehler auch schon bei dessen Besitzer, der den russischen Okkupanten das Tor weit aufmachte, weil er sich dachte, dass es gut wäre sie mit ihren Jeeps und Gewehrläufen und scharfen Patronen auf seiner Seite zu haben, aber dabei unterschätzte er das zusammengesetzte Substantiv Bruderhilfe, weil er nicht sah, was zwischen den Wörtern stand und annahm, dass Bruder und Hilfe zusammengehörten, jedoch gab es zwischen ihnen noch viele Sätze, Bekanntmachungen, Verträge und gute Ratschläge, von denen er keinen blassen Schimmer hatte. Er ließ sie auf den Hof und sie befreiten ihn auch gleich von seinem menschlichen Stolz und der Möglichkeit sich Besitzer zu nennen und stellten ihm die Wirtschaft auf den Kopf und für die Errungenschaft sich mit General Prochodyn zu betrinken hatte er die Ehre zwischen Stall und Schuppen hin- und herzulaufen und zu rufen: „Äto nje, towarischtschi, ja wasch drug! Äto nje, äto moj!“, ganz so wie die primitiven Stämme in Afrika, als sie aus der erworbenen Überzeugung heraus, nicht die Auserwählten zu sein, ihre Kolonisatoren für sich zu gewinnen suchten. Und vielleicht hätte Mama diesem verwirrten und aufgestauten Soldaten nicht ausgerechnet auf dem Höhepunkt mit einem Fleischerhaken ein Auge ausschlagen sollen, oder sie hätte wenigstens warten können, bis es vorbei war, der Russe erlebte nämlich so den intensivsten Orgasmus seines Lebens, als der Schmerz in seine Lust eindrang und sich völlig in ihr verhedderte, und er, vor Schmerzen wahnsinnig, gab in diesem einzigen Augenblick das Beste, was sein Körper zu bieten hatte, und vielleicht drang in diesen Orgasmus auch ein wenig vom unerreichbar fernen Weltall über der weiten Steppe ein, so wie ein sterbender Baum ein letztes Mal erblüht um seine Kinder über die Umgebung zu verstreuen, und in jedem dieser Samen ist wieder ein ganzer Baum enthalten mit Zweigen, Blättern und dem Willen zu leben. Vielleicht hätte meine Mama mit dem Stock aus Tannenholz schon diesem ostdeutschen oder bulgarischen Unteroffizier ein Auge ausschlagen sollen, der sich ein paar Stunden zuvor in sie ergossen und sie betrunken und halb nackt auf dem Heu liegen lassen hatte, nicht weit von jenem Anwesen entfernt, zu dem sie sich dann Hilfe suchend auf den Weg machte. Oder sie hätte am Abend vorher nicht aus Traurigkeit trinken, sich anbaggern und zu einer Fahrt mit einem Armeejeep bis an den Waldrand beschwatzen lassen sollen, doch was blieb so einem armen einsamen Mädchen anderes übrig? Oder sie hätte schon am Nachmittag Jan Bure¹ ein Auge ausschlagen sollen, wegen dem sie zum Tanz nach Bøíte¹ka gekommen war, denn Jan Bure¹ war ein großer Kerl mit hervortretenden Wangenknochen, einer breiten Brust, einer Jawa 250, einer schwarzen Brille und Bemerkungen, die andeuteten, dass er so eine Art Interesse an meiner Mutter haben könnte, denn sie war „echt ’n steiler Zahn“ und in dem Freibad, wo er sie angegraben hatte, hat sie „echt die Sonne in den Schatten gestellt“ und sie konnte toll zu den Matadors tanzen und bei den Mamas and Papas legte sie sich so ins Zeug, dass sie sich das Dederonhemd zerriss, das sie Vlasta abgekauft hatte. Bloß wusste der große Kerl mit den hervortretenden Wangenknochen Jan Bure¹ nichts von Mamas Überfall, bis sie im Gasthaus Zur Offiziersliebe plötzlich vor ihm auftauchte, und so kam heraus, dass Jan Bure¹ schon mit Jiøina ging, die Haare wie Marianne Faithfull hatte, mit der wiederum Mick Jagger schlief. Und sie hätte wohl nicht dort bleiben und versuchen sollen Jan Bure¹ Jiøinas Klauen zu entreißen, allerdings sah Jan Bure¹ echt toll aus, zudem hatte er ihr hinter der Bühne mitgeteilt, dass er Augen nur für sie hat, und dass er vorher auf dem Klo mit ihrer Rivalin geknutscht hatte, das war nur ein unglücklicher Irrtum gewesen. Vielleicht hätte meine Mutter auch Vlasta ein Auge ausschlagen sollen, die ihr das alles eingebrockt hatte, sie hätte eigentlich mitfahren sollen, doch sie redete sich mit einem Konzert von Mouse Cry heraus, „die einen echt tollen Sänger haben“, oder sie hätte allen ein Auge ausschlagen sollen, denn wir sind ja sowieso das Volk des einäugigen Heerführers Jan ®i¾ka. Als der brüllende russische Soldat mit seiner Ration Eisen im Kopf aus dem Hühnerstall wankte, wobei er eine blutige Spur zurückließ, waren seine Spermien schon unterwegs um auf die bulgarischen oder ostdeutschen Spermien zu treffen, vielleicht verschmolzen sie sogar Schwanz an Schwanz zu internationaler Hilfe, auf die niemand scharf war. Drei Monate später schlug sich Mama bereits mit dem gesamten Warschauer Vertrag und den offiziellen Stellen herum, die sie mit Drohungen und unglaubwürdigen Versprechungen der „ungewollten Folgen“ zu entledigen suchten. „Das wird eine Missgeburt“, sagten sie, „Sie schädigen die Sache des Sozialismus“ und auch „im Namen des werktätigen Volkes fordern wir Sie zur Abtreibung auf“. Doch Mama hatte sich schon dazu entschlossen, dass sie sich nicht anrühren lassen und für mich und Piolin und das andere Kind, das dann tot zur Welt kam, gegen die ganze Welt kämpfen würde. Und schlagen konnte Mama sich, sie zögerte nicht, täglich Stöße von Briefen zu schreiben um Unterstützung bei allen möglichen humanitären Organisationen zu finden, sie attackierte die russische Botschaft, Präsident Svoboda und den sympathischen Dubèek, den sie so durcheinander brachte, dass er aus Versehen das „Knüppelgesetz“ unterschrieb, bis sie sie endlich in Frieden ließen und sie in Ruhe gebären konnte. Aber vielleicht hätte mein Großvater es verdient ein Auge ausgeschlagen zu bekommen, der mit der Prager Gestapo kollaborierte und dabei bis über beide Ohren in die schöne Revolutionärin Marie verschossen war, die vor dem Krieg mit der gesamten kommunistischen Führung geschlafen hatte. Als im Mai Fünfundvierzig Einheiten von General Vlasov in Viehwaggons auf dem Bahnhof Dejvice auf den Befehl warteten sich den Befreiungsaktivitäten anzuschließen, ist mein Großvater dort von Aufständischen dabei erwischt worden, wie er es im Heizhaus gerade mit Marie trieb. Obwohl gegen ihn ein Haftbefehl vorlag, haute sie ihn an Ort und Stelle aus der Sache raus, und am späten Nachmittag, als sich das Blatt wieder wendete und die Vlasov-Truppen abgezogen wurden und die Gestapo den Bahnhof besetzte, trat er vor das Heizhaus und brüllte „Heil Hitler!“ um als Gegenleistung jetzt sie zu retten. Und in den Fünfzigerjahren schützte wieder sie ihn, als sie bei Präsident Antonín Zápotocký statt der Kugel für ihn zehn Jahre Zuchthaus erbettelte, doch bevor er herauskam, starb sie bei einer Operation in Moskau an einem banalen Eingriff eines banalen russischen Akademikers. Bloß wenn es ihre seltsame Beziehung nicht gegeben hätte, würde es auch meine Mutter nicht geben, die nichts für die Verhältnisse ihrer Eltern konnte, aber vielleicht war schon beim Großvater meines Großvaters ein Fehler passiert, der mit Interventionstruppen im Jahre Siebzehn dem Wüten der roten Garden Einhalt gebieten fuhr und zwei Jahre in Gefangenschaft blieb, bis sie ihn auf ein Gut schickten und er, getrieben vom Glauben es zu schaffen, innerhalb eines Monats Sibirien durchwanderte und sie ihn steif gefroren in einer Vorstadt von Helsinki fanden, eine Münze mit dem Porträt von Kaiser Franz Josef fest mit der Hand umklammert, genau die, die dort auf dem Tischchen liegt. Oder das Ganze hat mein anderer Urgroßvater verschuldet, der Bohemien war und sich mit Jaroslav Ha¹ek betrank, und statt sich um seinen Sohn zu kümmern, steckte er ihn ins Waisenhaus Na Franti¹ku und holte ihn nur sonntags zu sich, damit er vor dem Christengott eine gute Figur machte. Aber vielleicht liegt das alles nur am System, das uns in Situationen versetzt, mit denen wir uns keinen Rat wissen, weil wir dazu von Gott oder jemand Ähnlichem einfach nicht die Ausrüstung bekommen haben. Und es ist gut möglich, dass wir alle Fehler und Irrtümer unsere Vorfahren kodiert irgendwo in uns tragen, aber so tief, dass wir dagegen nichts tun können, doch das weiß ich wirklich nicht. Meine Mama, die es wirklich sehr schwer hatte, könnte vielleicht etwas darüber erzählen, bloß würde die abwinken und sagen: „Piolin, sollen sie dir ruhig Gulasch aus Straßenhunden kochen, aber iss es niemals mit dem Löffel!“ Die Umstände von Piolins Empfängnis, so tragisch sie auch waren, schrieb später Rigid Pincová, waren letztendlich aus Sicht der Evolution annehmbar. Es ist nichts Ungesundes daran, wenn verschiedene und konkurrenzfähige Spermien ihren Kampf ums Überleben führen. Die so befruchtete Eizelle ist lediglich Träger der stärksten genetischen Information. Das einzige Problem bestand darin, dass an jenem Frühlingstag des Jahres Neunundsechzig niemand die Spermien zu Besuch eingeladen hatte.


/Das sog. Knüppelgesetz war eine Gesetzesnorm, die es Angehörigen eines Volkes ermöglichte auf die Köpfe anderer Angehöriger desselben Volkes einzuschlagen, deren grundlegendes Vergehen darin bestand, dass sie gedachten nach eigenem Gutdünken mit ihrem Leben umzugehen. Ihre Undiszipliniertheit grämte den Präsidenten Husák sehr. Dabei war Dr. Husák eines der wenigen menschlichen Wesen, die den Generalsekretär des ZK der KPdSU küssen durften./

 

 


Vyti¹tìno z http://www.ipetrov.cz