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Pøemysl Rut - Schauerliches Böhmen, entsetzliches Mähren

Übersetzung: Rolf Simmen

Teufelswerk


Einst wollte ein geiziger Ritter (eventuell der Regent Jakub Krèín von Jelèany, es kann aber auch ein geiziger Bauer gewesen sein) bei Lomnice an der Popelka (bei Køepenice in der Rosenberger Herrschaft, beim mährischen Telè, bei Kumburk, bei Velichovky in der Gegend von Jaromìø, oder in ®ampach im Glatzer Land) eine Burg erbauen (ein mit Wassergraben umfasstes Schloss, die Burg Rosenstein, eine Brücke aus Bruchstein von Kumburk nach Bradlec, so breit, dass drei Wagen aneinander vorbei fahren können, ein Steinhaus ohne Fenster und Türen, mit Dach und Kamin, aber dass es darin immer warm und hell sein soll, mit dem Eingang durch den Keller, zu dem ein Geheimweg aus einem fernen Bergwerk führt, oder eine Brücke, die den Herrschersitz mit der Burg Landsberg verbindet).
Dazu heuert er den Teufel an, dem er seine Seele verschreibt, wenn das Bauwerk in einer einzigen Nacht (ausnahmsweise in zweien) fertig wird, bevor der Hahn kräht.
Der Teufel bringt Steine, häuft sie aufeinander, die Burg (das Schloss, die Brücke, das Steinhaus) wächst, die Nacht (die zweite Nacht) geht zu Ende, und der Besitzer beginnt fieberhaft zu überlegen, wie er es anstellen soll, damit der Leibhaftige das Werk nicht pünktlich fertig stellt und der Vertrag ungültig wird.
Das Dach (den Turm, den Graben, den Ofen, den letzten Pfeiler) könnte er auch selber fertig bauen, würde jede Menge Geld sparen und dazu noch seine Seele retten.
Endlich fällt der Ritter (der Regent, der Bauer) auf die Knie und bittet Gott, das Satanswerk zu verhindern (versteckt einen Hahn für den geeigneten Augenblick, den Hahn weckt nach durchwachter Nacht die Gattin des Unglückseligen, oder er imitiert selbst die Stimme des Hahns und die echten Hähne stimmen ins Krähen ein).
Der Teufel bringt schon den letzten Stein heran, als der Hahn zu krähen beginnt, und der Höllensohn versinkt in der Erde (flieht, wie wenn man ihn mit Weihwasser besprengt hätte, verschwindet und hinterlässt eine Trittspur im Felsen, es bleibt von ihm nichts als ein schrecklicher Gestank übrig, er verflucht den Bauern und den ganzen Ort, er stürzt mitsamt der Brücke ein).
Den Stein, den der Teufel hat fallen lassen, kann man dort bis heute sehen.
Manchmal gibt es mehrere Teufel, aber die Handlung bleibt gleich.
Seltener ist der Vertrag so formuliert, dass nicht der Besitzer Opfer des Teufels wird, sondern der Erste, der die Burg (die Brücke) betritt. Dann muss man es so einrichten, dass es ein Geschöpf ist, das weder dem Erzähler noch den Zuhörern leid tut: zum Beispiel ein Fuchs.
In keiner Variante der Sage kommt der Teufel durch sein Werk zur erwarteten Belohnung, obwohl immer der Mensch, der die Arbeit bestellt hat, den Vertrag bricht oder umgeht.
Alle Erzähler (Sedláèek, Horyna, Èíp, Pavel, Muk, Danìk, Sílová, Tøí¹ka, ©acha) erkennen dem Teufel nicht nur außergewöhnliche Fähigkeiten zu, sondern auch Ehrlichkeit, also eine moralische Eigenschaft, behandeln ihn aber trotzdem wie eine negative Gestalt, welcher der Sieg nicht gebührt. Im Gegenteil, es ziemt sich, aus dem Werk des Teufels soviel Nutzen wie möglich zu ziehen (den Bau wenn möglich kurz vor dem Einsetzen des letzten Steins zu unterbrechen) und erst im letzten Augenblick dem Anspruch des Teufels zu entrinnen.
Der Bedeutung, Menge und Vielfalt der Bauwerke nach (Burgen, Schlösser, Brücken, steinerne Hütten, in zwei Fällen erbaute der Teufel sogar eine Kirche!) scheint es, als ob die stolzen böhmischen und mährischen Städte und unsere lieblichen Dörfer ein Werk der goldenen Hände der Höllensöhne sind.
Genau genommen sind sie Teufelswerk.



Der Sohn des Henkers

Wenn ins Haus des Henkers ein Mensch eintrat, dem es beschieden war, auf der Richtstätte zu sterben, so begann das Henkersschwert in der Truhe oder an der Wand wild zu schwanken und zu rumoren. Es verwundert deshalb nicht, dass der Joachimsthaler Henker zu Tode erschrak, als das Schwert in dem Moment scheu wurde, in dem die schöne Frau Katharina ihm einen Sohn gebar.
Dieses rosarote schlafende Gesicht sollte also einst in den Korb beim Richtblock fallen? Und ich sollte derjenige sein, der das ausführt?
Der Henker hatte nicht den Mut, dies Katharina anzuvertrauen. Sie würde sich nicht erklären lassen, dass es nicht seine Schuld war. Als er aber nach Leitmeritz zur Hinrichtung einer Räuberbande gerufen wurde, verriet er es nach ein paar Krügen Wein seinem Leitmeritzer Kollegen.
Er tat gut daran: der Leitmeritzer Henker wusste, wie man einem solchen Orakel zuvorkommt. Das Schwert musste das Blut des Knaben kosten, dazu musste man ihm allerdings nicht den Kopf abschlagen. Wenn der Henker seinen kleinen Sohn in einem geeigneten Augenblick anritzte, so konnte ihm anschließend nicht einmal die Hinrichtung mehr etwas ausmachen.
Es war einfach. Der kleine Heinrich spielte wie alle Kinder statt mit Spielzeug lieber mit dem Werkzeug, das die Erwachsenen benützen. Das hieß, mit dem Galgen, dem Strick, dem Richtklotz, der Axt, dem Korb. Die meisten aufregenden Entdeckungen machte er aber in der Folterkammer: ein Nürnberger Trichter, spanische Stiefel, das Bockholz*, das Folterbett – von diesen verblüffenden Dingen wollte er gar nicht weg ans Tageslicht. Und weil Hinrichtungen nicht jeden Tag stattfinden, hatte der Henker genug Zeit, sich dem Sohn zu widmen.
Einmal erlaubte er es ihm, eine lange Truhe zu öffnen und das große, zweihändige Schwert herauszunehmen. Papa hielt das Gerät am Griff, Heinrich blieb also nur die Schneide übrig. Der Knabe hatte die ganze Hand voll Blut, Frau Katharina war denn auch ganz schön wütend auf ihren Gatten, aber der ertrug das gerne. Jetzt brauchte er um den kleinen Heinrich nicht mehr zu fürchten. Ein zweites Mal würde das Schwert sein Blut nicht mehr nehmen.
Es machte auch nicht den Anschein, als gebe es dazu einen Grund. Aus dem Knaben wuchs ein verträumter junger Mann heran. Das Leben jenseits der Joachimsthaler Stadtmauern brachte für Heinrich Erlebnisse mit sich, derentwegen seine Altersgenossen gotische Romane und morbide Verse lasen.
Es kam die Zeit, ein Handwerk zu lernen. Henker wollte er nicht werden, er musste sich also ein wenig in der Welt umschauen. Schweren Herzens geleiteten ihn die Eltern auf den Weg. Tillenberg solle eine reiche Stadt sein, erinnerte sich der Vater, aber selbst war er nie dort gewesen. Es war nicht weit. Warum also nicht dort anfangen? Heinrich machte sich auf nach Tillenberg.
Er ging den ganzen Tag durch dichten Wald, bis es ihm schien, er habe sich verlaufen, als plötzlich zwischen den Bäumen die Lichter von Lampen und Laternen aufleuchteten. Der Junge lief schneller. Bevor es dunkel wurde, war er aus dem Wald heraus vor den Mauern der Stadt. Er konnte kaum anklopfen, da öffnete sich schon ein Fensterchen im Tor: „Wohin des Wegs?“
„In die Welt hinaus, ein Handwerk finden.“
Das Tor ging auf, Heinrich trat ein und wäre am liebsten gleich wieder fort gerannt, doch das Tor fiel augenblicklich hinter ihm zu. Es blieb ihm also nichts anderes übrig, als einen langen Gang entlang zu gehen, an dessen Seiten eine Reihe kleiner Fenster in verschiedener Höhe angebracht waren: von Heinrichs Knöchel bis zum Kopf. Vor jedem musste er stehen bleiben, sich umdrehen, wie die Stimme aus dem Fenster es befahl, und immer den Körperteil untersuchen lassen, auf den das Fensterchen blickte.
„Du wirst Schmied“, verkündete ihm die letzte Stimme, und eine Hand überreichte ihm aus dem Fensterchen einen Zettel. „Zeig das im Rathaus vor, dort sagt man dir, wo du schlafen wirst.“
Das letzte Fenster wurde geschlossen, und Heinrich trat wie ein Automat auf den Platz. Er war sehr unzufrieden mit sich („Ich will nicht Schmied werden. Warum habe ich das nicht klargemacht?“), aber er kannte sich hier nicht aus, die Müdigkeit überfiel ihn, und schließlich hatte ihm niemand etwas zu Leid getan, er entschloss sich also, diese verdächtige Fürsorge wenigstens für die erste Nacht anzunehmen.
Beim Rathaus zeigte er den Zettel vor, und der Pförtner führte ihn über den Platz zu einem kleinen Häuschen, wo er ihm eine Kammer zuteilte. Es war ein Bett darin, ein Schrank, ein Tisch, ein Stuhl und in der Ecke die Türe zum Klo. Heinrich legte den Ranzen ab und hätte gerne noch die Stadt angeschaut, aber der Pförtner hatte ihn scheinbar in der Kammer eingeschlossen. Da zog er sich aus und legte sich nieder.
Am Morgen weckten ihn Glocken, die aber nicht wie die von der Joachimsthaler Kirche klangen. Heinrich öffnete die Augen: Seine Kleider waren in der Nacht verschwunden, an ihrer Stelle lagen ein Schmiedekittel und eine Schürze. Was hätte er sich anderes anziehen können? Kaum hatte er das Band um die Taille geschnürt, öffnete sich die Tür und es traten einige Schmiedegesellen ein. Es wurde ihm klar, dass er ihnen zum Verwechseln ähnlich sah.
„Du bist einer von uns“, lachten sie ihm zu. „Mit uns wird es dir gefallen. In Tillenberg ist es gut. Hier ist niemand allein, niemand leidet Not, niemand ist traurig. Wir lehren dich unser Lied.“ Sie sangen, dass in ihren Adern ein einzig Blut strömt, dass sie gemeinsam ein Wesen bilden, das den Namen Tillenberg trägt. Bevor sie zu Ende gesungen hatten, waren sie in der Werkstatt angekommen.
So wurde Heinrich zum Schmied. Drei Jahre arbeitete er in Tillenberg, bevor sich ihm die Gelegenheit zur Flucht bot.
An jenem Tag musste er einen Türklopfer an dem Tor befestigen, durch das er vor drei Jahren die Stadt betreten hatte. Er schlug den letzten Nagel ein, knüpfte die Schürze auf und rannte in den Wald. Hinter dem ersten Baum geriet er in eine Falle.
Sein Fall war außergewöhnlich. Wer flieht schon von Tillenberg? In Tillenberg ist es gut. Niemand ist einsam, niemand leidet Not, niemand ist traurig. Es begeht auch niemand ein Verbrechen. Es braucht keinen Kerker und keine Schergen. Schließlich ist die ganze Stadt eingeschlossen und alle bilden gemeinsam ein Wesen. Oder kann man sich etwa einen Arm wegreißen?
Nicht einmal einen Henker hatten sie in Tillenberg. Es war nötig, ihn aus Joachimsthal herbeizurufen.
Und so traf Heinrich seinen Vater wieder. Der erschrak erst mal ordentlich, als er sah, wen er da zu richten hatte, aber er entsann sich, wie er einmal weise auf den Rat seines alten Kollegen gehört hatte, und flüsterte seinem Sohn zu, er solle sich nicht fürchten.
Er stellte ein Gerüst auf den Platz (ganz Tillenberg kam, um sich das anzusehen), er wartete, bis Heinrich beim Richtblock niedergekniet war (ganz Tillenberg hielt den Atem an), und holte mit dem Schwert aus – das flog ihm allerdings aus den roten Handschuhen und durchstieß wie absichtlich die Kehle des ersten Zuschauers. Blut spritzte hervor, und es war viel mehr, als in diesen kleinen Mann hineinpasste. Auch die andern um ihn herum wurden schnell bleich, sie bluteten aus seiner Wunde, taumelten und fielen zur Erde, wie wenn das städtische Leitungsnetz geplatzt wäre: In den Adern der Tillenberger strömte tatsächlich ein einzig Blut, das jetzt durch den nächsten Kanal abfloss. Bevor sie es begriffen, war niemand von ihnen mehr übrig.
Der Henker zog die Kappe aus und konnte sich nicht genug darüber wundern, was er angerichtet hatte.
„Komm, Vater, unterwegs erzähle ich dir alles.“ Heinrich stand auf und putzte sich den Staub von den Knien. Sie gingen aus der Stadt.
Der alte Hulpach erzählt zwar, dass bei der Hinrichtung die ganze Stadt „im Nu“ verschwunden sei, aber das sagt er wohl nur der Kinder wegen.
Aber dass heute bei Joachimsthal gar kein Tillenberg steht? Dass davon nicht einmal Ruinen übrig geblieben sind?
Ja, dann ist es lange her.

* Der „Bock” ist eine Folterart, bei der Daumen und große Zehen überkreuz durch Schrauben zusammengepresst wurden.

 

 


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